|
›Jónas Blondal‹ will nicht nur unterhalten. Zwar ist es ein wesentliches Element des Comics, unterhaltsam zu sein, doch geht diese Geschichte darüber hinaus. Sie hat eine Botschaft. Eine ernste Botschaft.
Deutlich wird dies bereits durch die Inhaltsangabe auf dem Umschlag: „Erstmals mit der rauen Wirklichkeit des Walfangs konfrontiert,”, heißt es dort mit Bezug auf den Jungen Jónas, „wandeln sich Begeisterung und Abenteuerlust des Zwölfjährigen schon bald in Nachdenklichkeit und Mitleid mit den wehrlosen Geschöpfen ...”
Darum geht es also. Nicht um das Thema Walfang allein, sondern um Achtsamkeit und Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit der Schöpfung.
Zwar bildet der historische Walfang des 19. Jahrhunderts den Rahmen der Erzählung, doch die damaligen Verhältnisse, die schon mehr als 100 Jahre zurückliegen, stehen nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es darum, die Folgen des Walfangs zu hinterfragen. Dieses Thema ist heute mit Sicherheit aktuell – wahrscheinlich aktueller denn je.
Die Geschichte über Jónas Blondal will nicht politisieren. Sie will sensibilisieren. Sie will den Sinn für Sinnloses schärfen – auf subtile Art.
Die Familie Blondal spielt dabei die zentrale Rolle. Nach dem Tod seiner beiden Brüder Sigurð und Grímur ist Jónas das einzige Kind, das den Eltern Amalie und Ivar verbleibt. Dementsprechend reagiert seine Mutter verständnislos, als sie von den Plänen ihres Mannes erfährt, ihren Jüngsten bei einer der nächsten Fahrten auf einen norwegischen Walfänger mitzunehmen. Sie sieht deutlich die Gefahr, durch eine „solche Verantwortungslosigkeit” auch noch ihr letztes Kind zu verlieren.
Ivar Blondal begegnet solchen Bedenken mit einer Nüchternheit, die an Gleichgültigkeit grenzt. Er belehrt Amalie, dass bei Scheveningen einst 380 Wale gestrandet und verendet seien. „Das ist nun mal der Lauf der Dinge”, resumiert er lakonisch, „Unglücke geschehen ... warum sollte das bei uns Menschen anders sein?” Amalies Einwand, man müsse aber nicht noch nachhelfen wie bei den Tieren, stößt auf taube Ohren.
Diese Passage ist eine Schlüsselszene: Hier wird deutlich, dass die Familie Blondal mitsamt ihrer Vergangenheit und Zukunft für etwas weit Größeres steht. Symbolhaft stellt ihre persönliche Geschichte eine Art Gleichnis dar: Durch mangelndes Verantwortungsbewusstsein (und den Walfang selbst) gerät das Leben ihres letzten Kindes – und damit der Erhalt ihrer Familie – in Gefahr. In gleicher Weise bedrohen Unvernunft und Sorglosigkeit bis heute den Fortbestand der Walpopulationen.
Diese „Parallele der Geschicke” kommt noch an einer weiteren Stelle zum Tragen:
Nach dem Fang einer Buckelwal-Kuh, begleitet das hinterbliebene Kalb weiterhin das Walfangschiff*. Jónas gibt dem Jungtier einen Namen – und macht sich Sorgen: „Ist Finn jetzt allein übrig geblieben, so wie ich?”, fragt er seinen Vater am Morgen nach dem „erfolgreichen” Fang. Und wieder beruhigt Ivar Blondal mit einer Mischung aus Sorglosigkeit und unangebrachter Jovialität: „Hör mal, Jónas, mach nicht den Fehler, zu viel über die Wale nachzudenken. Es hat immer Wale gegeben, und das wird auch in Zukunft so sein. Finn wird irgendwann eine große Familie haben ... genauso, wie du.”
Hier siegt die fragliche Naivität des Kindes über die fragliche Gelehrsamkeit des Erwachsenen.
Wäre es heute anders? Könnte man einem Kind verständlich machen, warum Menschen so lange und so viele Tiere einer Art töten, bis es diese nicht mehr gibt? Welcher Viehzüchter würde nicht wenigstens ein Paar für die weitere Zucht vor der Schlachtung bewahren? Sind Kinder einfach nur diejenigen, die hier noch lernen müssen, oder stellen sie gelegentlich die besseren Fragen?
Auch im Anhang des Comics zwei Fragen: „Wie wird die Zukunft der Wale aussehen? Werden sie das Schicksal des Jónas, des Übriggebliebenen, teilen?”
Ivar Blondal bleibt nach der Erzählung erbitterter Walfänger bis zu seinem Tod – uneinsichtig und unbelehrbar. Er stirbt im August 1913. Ein Jahr später stirbt seine Frau. Auf der letzten Seite der Geschichte ist zu lesen: „Die Blondals haben keine Nachfahren hinterlassen.”
So, wie der Comic es beschreibt, hat es Jónas Blondal und seine Familie nie gegeben. Die Erzählung ist nicht authentisch. Doch sie könnte es sein – oder gewissermaßen noch werden. Sollten manche Staaten auch weiterhin an ihrer Entscheidung festhalten, internationale Walfangverbote zu ignorieren, könnte die Zeit kommen, in der uns nur noch Bilder an die faszinierenden Wale, die Giganten der Meere, erinnern werden ...
*Solche tragischen Szenen sind in der Realität wiederholt vorgekommen, weil die Walkälber den
Rumpf der Walfangschiffe irrtümlich als Körper des Muttertiers „annahmen”.
|
|
|
|